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Objektführer / Köln

Köln_Gummifädenfabrik Kohlstadt
Köln-Mülheimer-Str. 127-129

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Kunstwerk e. V.

Texte und Dokumente
Walter Buschmann: Die Gummifädenfabik Kohlstadt in Deutz

Kurztext
1843 am Eigelstein in Köln gegründet wechselte das Unternehmen zuerst nach Niehl und 1864 an die Deutz-Mülheimer Straße in Deutz. Mit der Umgründung in eine Aktiengesellschaft erfolgte der Schritt zum Großbetrieb. Die heutigen Gebäude entstanden 1908 als mehrgeschossige Randbebauung nach Entwurf von Otto Grah. Ein Flügel der Anlage steht unter Denkmalschutz und wird für Künstlerateliers durch den Verein Kunstwerk e.V. genutzt.

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Gummifädenfabrik vorm. F. Kohlstadt. Aquarell Wilhelm Scheiner, 1905

Walter Buschmann
Die Gummifädenfabrik Kohlstadt in Deutz

Geschichte
Das Unternehmen Ferd. Kohlstadt & Comp. wurde 1843 am Eigelstein 37 in Köln durch Ferdinand Kohlstadt und Marcus Breuer als Gummiwarenfabrik gegründet. In einer frühen gewerblichen Verwertung des Kautschuks wurde das Material in Fäden geschnitten und zu gewebten Gummibändern und Hosenträger verarbeitet. Seit 1848 wurden vulkanisierte Gummifäden aus England verwendet. In der berühmten Londoner Weltausstellung von 1851 wurden im Kristallpalast auch Hosenträger aus Köln präsentiert.

Mit der Eigenproduktion vulkanisierter Gummifäden entstand 1857 in der Niehler Straße in Nippes eine neue Fabrikanlage. Hier wurden Gummiplatten in Vierkantfäden zerschnitten. Nach einem Bericht der Handelskammer von 1858 wurden 300 arme Frauen und Mädchen beschäftigt.

Schon wenige Jahre später erfolgte 1864 die Umsiedlung nach Deutz an die Deutz-Mülheimer Straße direkt neben die 1845 dort gegründete Waggonfabrik von van der Zypen und Charlier. Die Herstellung elastischer Webwaren wurde zugunsten der Produktion von Gummifäden eingestellt. 

Die Grundlage zu einer Entwicklung zum Großbetrieb wurde 1872 durch Umgründung des Unternehmens in eine Aktiengesellschaft gelegt. Als Gründer traten die bisherigen Gesellschafter Ferdinand Kohlstadt und Marcus Breuer sowie die damalige Bank für Rheinland und Westfalen auf. Nach Überwindung der auf die Gründerzeit folgende Krise, erlebte die Firma nun unter dem Namen Kölnische Gummiwarenfabrik vorm. Kohlstadt & Comp. in den 1880er Jahren einen deutlichen Aufschwung. 1905 stellte Wilhelm Scheiner die Werksanlage als Bleistiftzeichnung und Aquarell dar.

Gleichzeitig mit Gründung der Tochterfirma Paragummiwerk mbH wurde 1908 das Deutzer Werk durch eine mehrgeschossige Randbebauung nach Entwurf von Otto Grah ergänzt. Hergestellt wurden nahtlose Gummiwaren wie Sauger, Operationshandschuhe, Badehauben, Schwammbeutel, Schürzen und gummierte Stoffe, Isolierbänder, Armbänder, Gasballons und Scherzartikel. In beiden Unternehmen waren 400 Beschäftigte tätig.

In den 1920er Jahren stieg die Zahl der Beschäftigten auf 700 Personen. Zum Unternehmen gehörte ein großer Stab von Vertretern. 1934 gelang Max Draemann die Herstellung gepresster Gummifäden in Massenproduktion. Statt der Schneidearbeit an festen Gummiplatten wurde nun flüssiges Gummi durch Düsen gedrückt. Schwere Kriegsschäden erforderte die Produktionsverlagerung 1943/44 ins Sudetenland. Der Betrieb in Deutz wurde teilweise aufrechterhalten.  

Nach Beseitigung der Kriegsschäden wurde die Produktion im Mai 1947 wieder aufgenommen. Die Wiederaufbauzeit dauerte bis 1956. An den von Otto Grah errichteten Backsteinflügel von 1908 wurde ein bis zur Deutz-Mülheimer-Straße reichender Stahlbetonbau angefügt. In den 1950er Jahren erfolgte die vollständige Umstellung der Produktion auf das Verfahren Draemann. Die Prosperität der Wirtschaftswunderzeit spiegelte sich in der Übernahme der „Standart Gummiwerke Baumgarten & Co.“ in Köln-Ossendorf. 1962 waren in dem Unternehmen 1300 Beschäftigte tätig. Doch schon 1972 musste die Produktion nach Konkurs eingestellt werden. Auf dem Gelände wurde das Berufsbildungszentrum der Stadt Köln mit durchschnittlich 600 Jugendlichen und 80 Ausbildern eingerichtet. 1984 übernahm die Klöckner-Humboldt-Deutz AG die Anlage und nach Umsiedlung des Berufsbildungszentrums etablierte sich 1995 in den Gebäuden eine Kunst- und Gewerbehof mit zeitweise 200 Künstlern und 12 Kleinunternehmen. 

Beschreibung
Historische Fabrikansichten zeigen als Kern der Werksanlage einen von der Deutz-Mülheimer-Straße zurückgesetzten, und hinter einer hohen Werksmauer für den Passanten weitgehend verborgenen kompakten Gebäudekomplex, der von einem Schornstein mit quadratischem Querschnitt überragt wurde. Hinter der Werksmauer erstreckte sich ein parkartig gestalteter Garten. Bedingt durch Kriegsschäden und vereinfachten Wiederaufbau ist von der Ursprungsarchitektur dieser Gebäudegruppe wenig erhalten.

Auf rechtwinkligem Grundriß wurde die Kernbebauung durch die 1908 von Otto Groh begonnenen Flügelbauten eingefasst. Nach einem Foto von 1918 war bis dahin nur der südliche Teil dieser Flügelbauten fertig gestellt. Bis 1922 wurde die Anlage komplettiert. Als denkmalwert eingestuft wird nur der von Kriegsschäden weitgehend verschonte Ursprungsflügel dieser Erweiterungsbauten.

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Foto 2008

Es handelt sich um einen dreigeschossigen Backsteinbau mit Kellergeschoß und flachgeneigtem Pultdach. Dominant wirken in der Fassadengliederung die gebäudehohen, mehrfach gestuften Wandvorlagen zwischen den Fensterachsen. Die großen rechteckigen Fensteröffnungen mit weitgehend erhaltenen kleinteiligen Metallsprossenfenstern werden mittig durch einen in Ziegeln gemauerten Fensterstock unterteilt. Das Kellergeschoß wird über einen schmalen Graben belichtet.

Im Inneren wird das Gebäude durch zwei großzügige Treppenhäuser erschlossen. Durch die Treppenaugen konnten Maschinenteile und Material in die Stockwerke gelangen. Treppen und Decken sind aus Beton. Die Decken lagern auf einer Mittelreihe Stahlstützen und in Gebäudelängsrichtung darüber verlaufenden Hauptunterzügen. Darauf liegen in enger Reihung Doppel-T-Träger mit dazwischen gespannten Betonplatten. Die Betonplatten sind an den Längsseiten gekehlt und erinnern im Erscheinungsbild entfernt noch an gemauerte Kappendecken des 19. Jahrhunderts.

Bedeutung
Als Ferdinand Kohlstadt und Marcel Breuer 1843 die Gummifädenproduktion aufnahmen, hatte diese Branche noch keine lange Vergangenheit. 1803 hatte es eine erste Fabrik zur Herstellung elastischer Bänder für Hosenträger, Strumpfbänder und dergl. in Paris gegeben und in England ist seit etwa 1820 die Herstellung von Gummifäden durch Nadler überliefert. Die erste deutsche Gummiwarenfabrik entstand 1829 in Finsterwalde bei Berlin durch Francois Fonrobert. Zentren der neuen Industriebranche waren Hamburg, Hannover, Thüringen und das Rheinland. In Köln dominierte die 1862 gegründete Rheinische Gummiwarenfabrik von Franz Clouth in Nippes. Insgesamt gab es damals in Deutschland nur 36 Gummifabriken mit 1788 Beschäftigten. Die Fa. Ferd. Kohlstadt & Comp. kann als eine der frühen Gummifabriken in Deutschland eingestuft werden. Auch wenn aus der Frühzeit des Unternehmens keine bemerkenswerten baulichen Zeugnisse überliefert sind, dokumentiert der Standort Geschichte und Entwicklungsprozeß in der Gummiindustrie. Typisch an diesem Prozess und für die Stadtgeschichte Kölns ist die Entstehung des Unternehmens in kleinen, innerstädtischen Dimensionen, die Randwanderung in die Vororte und dort nach Umgründung in eine Aktiengesellschaft die Entwicklung zum Großbetrieb.

Von außerordentlicher Prägnanz im rechtrheinischen Stadtbild sind die nach 1908 errichteten Großbauten der Werksanlage. Sie stehen heute am Anfang (oder Ende) des Industriegebiets zwischen Deutz und Mülheim und sind daher auch von städtebaulicher Bedeutung.

In der Architektur dieser seit 1908 entstandenen Großbauten spiegeln sich wesentliche Entwicklungstendenzen dieser Übergangsphase vom Historismus zur klassischen Moderne. Prägend sind im äußeren Erscheinungsbild die großen Rechteckfenster. Durch sie wird die Fassade aufgelöst in eine rasterartige Struktur, in der allerdings die durchlaufenden pfeilerartigen Wandvorlagen gegenüber den Brüstungselementen dominieren. Besonders die Berliner Industriebauten dieser Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg waren durch eine prägnante Pfeilerarchitektur geprägt, die anfangs noch historistisch orientiert war und stark an die Stützpfeiler mittelalterlicher Bauten erinnerte, doch dann unter dem Einfluss von Peter Behrens mit seinen epochalen AEG-Bauten sich von den historischen Vorbildern löste. Hans Hertlein machte die Pfeilerarchitektur zu einem Markenzeichen des von ihm in den 1920er Jahren entwickelten Siemensstils. Im Rheinland sind Bauten und Entwürfe von Wilhelm Kreis, Paul Bonatz, Peter Behrens und Emil Fahrenkamp von dieser Formensprache beeinflusst. In diesen Zusammenhang lassen sich die von Hans Grah geschaffenen Bauten für die Kölnische Gummifädenfabrik einordnen.

oben

Literaur
Dari Deutschlands Städtebau, Berlin 1922, S. 176

Ortstein, Katrin: Hansi, Frau Reckenthäler und das Kunstwerk – oder was ist der Kunst- und Gewerbehof Deutz?, Aachen o. J.

Rompf, Reinhold: 1857-1957. Kölnische Gummifäden. Festschrift zur 100. Wiederkehr des 1. Juni 1857, Köln 1957

Wieger, Handbuch von Köln, Köln 1925 S. 554f

Historische Museen der Stadt Köln. Kölnisches Stadtmuseum (Hg.): Jacob und Wilhelm Scheiner. Bilder zur Kölner Stadtentwicklung zwischen 1872 und 1922, Köln 1978 , S. 134

Klein-Meynen, Dieter/ Meynen, Henriette/ Kierdorf, Alexander: Kölner Wirtschafts-Architektur. Von der Gründerzeit bis zum Wiederaufbau, Köln 1996, S. 42

Erker, Paul: Vom lokalen Gummiwarenproduzenten zur globalen Zulieferbranche, in: Giersch, Ulrich/ Kubisch, Ulrich: Gummi. Die elastische Faszination, Berlin 1995, S. 371

Ribbe, Wolfgang/ Schäche, Wolfgang: Die Siemensstadt. Geschichte und Architektur eines industriestandortes, Berlin 1985

Busch, Wilhelm: Bauten der 20er Jahre an Rhein und Ruhr. Aurchitektur als Ausdrucksmittel, Köln 1993

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