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Objektführer / Aachen / Wollroute / Textil Aachen_

Fabrik für Eisenkonstruktionen Heinrich Paulus
Liebigstraße 40

Texte und Dokumente
Walter Buschmann: Fabrik für Eisenkonstruktionen Heinrich Paulus, Aachen, Liebigstr. 40

strassenansicht
Liebigstraße mit Verwaltungsgebäude, Strassenfassade der Klemmenhalle und Werkseingang. Foto 2001

Walter Buschmann
Fabrik für Eisenkonstruktionen Heinrich Paulus

Geschichte
Die Ursprünge der Fa. Heinrich Paulus konnten nicht ermittelt werden. 1889 ist das Unternehmen in der Lütticher Str. 32 ansässig. 1913/14 entsteht eine neue Fabrikanlage in dem aufstrebenden Industrieviertel Grüner Weg. Dieses seit 1870 mit dem Bau des Jülicher Bahnhofs und Gaswerk sich entwickelnde Gebiet erlebte zur Jahrhundertwende und besonders im Jahrzehnt vor dem Ersten Weltkrieg einen stürmischen Aufschwung. Um nur die wichtigsten Fabrikansiedlungen zu nennen: 1890-93 waren die Neuanlagen der Waggonfabrik Talbot entstanden, 1994 ging der Schlachthof mit modernster Ausstattung an der Metzgerstraße in Betrieb,1897 kam die Maschinenfabrik H. Krantz aus der Jesuitenstraße an die Jülicher Straße, 1899/1900 errichtete die Elektrofirma Garbe, Lahmeyer & Co eine neue Fabrik, ab 1917 wurde nach und nach die Marmeladenfabrik Zentis von der Kongreßstraße an die Jülicher Str. verlegt. Das Industrieviertel am Grünen Weg ist das Resultat einer Art Randwanderung Aachener Betriebe, die im 19. Jahrhundert zu einer für innerstädtische oder stadtnahe Standorte ungeeigneten Größe herangewachsen waren.

Die bis 1997 an der Liebigstraße produzierende Firma Heinrich Paulus hatte sich um zu einem erfolgreichen Unternehmen auf dem Gebiet des Brücken- und Dampfkesselbaus entwickelt. Als besondere Spezialität wurden Keil- und Schraubenklemmen für den Eisenbahnbedarf zur Fixierung von Schienen auf den Schwellen. Das neue Werk wurde 1913/14 nach Plänen des Aachener Architekten Franz de Lamotte errichtet.

Gesamtanlage
Die Werksanlage lagert sich um einen geräumigen Hofplatz. Der Werkseingang ist mit dem Verwaltungsgebäude zur Liebigstraße orientiert. Verwaltungsgebäude und der anschließende Straßengiebel der sogenannten Klemmenhalle entstanden als Putzbauten. Auch die Werksmauer ist verputzt. Die übrigen Produktionsbauten setzen sich davon als Stahlfachwerkbauten in Material und Farbigkeit deutlich ab. Das Gelände wurde ursprünglich durch ein Anschlussgleis nordwestlich vor der Klemmenhalle durch die Eisenbahn erschlossen. Südwestlich wird der  Werkshof geschlossen durch eingeschossige, stark veränderte Bauten für Schmiede und andere Werkstätten. Die denkmalwerte Anlage besteht im Einzelnen aus folgenden Bauten:

Konstruktionshalle, 1914
Die dreischiffige Stahlfachwerkhalle mit hohem Mittelschiff und Belichtungsraupe über dem First wird in den Fassaden geprägt durch die annähernd quadratischen Gefache und Fensteröffnungen. Die kleinsprossigen Metallfenster sind zusammengefasst zu vierbahnigen Fensterbändern. Die einsteinstarke Ausfachung in den Gefachen ist steinsichtig. In den Fassaden dominieren als gliedernde Elemente die tragenden Ständer aus zusammengesetzten Profilen und die dünneren Riegel und Ständer der Wandkonstruktion. Belichtet wird die Halle zusätzlich über den Obergaden und die in den satteldachförmigen Dachflächen vollständig verglaste Belichtungsraupe über den First. Der Zugang zur Halle erfolgt über ein großes Tor in der südlichen Traufseite. Daneben befindet sich ein eingeschossiger Anbau mit Pultdach.

Die Innenkonstruktion besteht aus einer Doppelreihe kräftig ausgebildeter Stahlstützen. Auf diesen Stützen ruht die Kranbahn für das Mittelschiff und über kurzen Stummelstützen auch die Dachkonstruktion. Die Dachbinder mit Strebenfachwerk folgen zumindest in der Anordnung der Streben dem Bild der Polonceauträger. Das Dach besteht aus Holzsparren, Holzdielen und Dachpappe. Als Ausstattung ist in der Konstruktionshalle nur ein Doppelbrückenkran in Fachwerkbauweise mit untergehängter Führerkanzel im Mittelschiff erhalten.

Klemmenhalle, 1914
Rechtwinklig zur Konstruktionshalle entstand die in ihrer Namensgebung auf das Spezialprodukt des Unternehmens hinweisende Klemmenhalle als 10-schiffiger Shedbau. Die Traufwände sind analog zur Konstruktionshalle in Stahlfachwerk mit annähernd quadratischen Fenstern und Gefachen ausgeführt. Auch hier sind die Metallsprossenfenster zu horizontalen Bändern zusammengefasst. Zum Hof ist der Halle ein Anbau mit Pultdach vorgelagert(Lager). Die westlich der Halle angegliederte Gleisüberdachung von 1918 ist nicht erhalten. Besonders architektonisch ausgeformt wurde die Straßenseite als Putzfassade mit Pilastern und zwei Scheingiebeln in neoklassizistischer Art. Die Konstruktion der Halle besteht aus einer Reihe Mittelstützen zur Auflagerung der Dachkonstruktion. Die Sheds sind in den Dachflächen nach Norden vollständig verglast mit durchlaufenden Stahlfachwerkträgern in der Glasebene. Zur Konstruktionshalle ist die Klemmenhalle ohne Trennwand, so dass hier ein durchgängiges Raumkontinuum entsteht. An der anderen Schmalseite liegen verteilt auf zwei Geschosse Sozialräume und zugänglich über eine Stahltreppe Büros mit einer zur Halle gelegenen Glaswand mit kleinsprossiger Verglasung.

Verwaltungsgebäude, 1913
Der kubusförmige, zweigeschossige Putzbau ist mit einem hohen Mansarddach gedeckt. Die Fassaden sind neoklassizistisch gestaltet mit Mittelrisalit und bekrönendem Zwerchhaus im Straßengiebel und Seitenrisalite in der zum Werkseingang gelegenen Seitenfront. Zur Fassadengliederung dienen schlicht gehaltene Pilaster. Die Pilaster im Mittelrisalit sind kanneliert. In den schlankhochrechteckigen Öffnungen sind originale Fenster nicht erhalten. Im Inneren ist eine Holztreppe mit schlichter neobarocker Ornamentierung überliefert. Im Erdgeschoß war die Wohnung des Portiers und Sprechzimmer, im Obergeschoß vier Büros mit Warteraum untergebracht.

Werkseingang und Werksmauer, 1914
Direkt an das Verwaltungsgebäude schließt sich der Werkseingang mit verputzten und ursprünglich mit Kugeln geschmückten Mauerwerkspfeilern an. Die Einfahrt wurde ehemals überspannt von einer Blechtafel mit der Aufschrift "Paulus". Die Werksmauer ist ebenfalls verputzt und wird gegliedert durch Wandvorlagen.

Bedeutung
Im Prozess der Industrialisierung und vor allem auch der Verkehrserschließung des Landes hat das Material Eisen und Stahl als Baustoff eine große Rolle gespielt. Die herausragenden Firmen für die Erstellung von Eisenkonstruktionen waren die Gutehoffnungshütte in Oberhausen, die Brückenbauanstalt Harkort in Duisburg und das MAN-Werk Gustavsburg bei Mainz. Bedingt durch Kriegszerstörungen und Modernisierungen nach dem Krieg sind von diesen Werken denkmalwerte Anlagen nicht erhalten geblieben. Das Werk der Fa. Paulus ist im baulichen Bestand dagegen fast komplett und mit nur wenig Veränderungen im Erscheinungsbild überliefert und muss daher als herausragender Repräsentant dieser Industriebranche eingestuft werden.

Es ist geradezu selbstverständlich, dass ein Unternehmen für Eisenkonstruktionen die eigene Produktionsstätte auch zur Selbstdarstellung der ihr innewohnenden Schaffenskraft verwendet. Fabrikarchitektur hatte immer auch werbenden Charakter, wie die zahlreichen Werksansichten auf den Briefköpfen der Industrieunternehmen im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert zeigen. Mit der Stahlfachwerkbauweise wählte die Fa. Paulus eine Bauart, die erst 1870 mit dem Bau der Schokoladenfabrik Menier in Noisiel-sur-Marne bei Paris in die Architektur und besonders in die Fabrikarchitektur eingeführt worden war. Nach anfänglicher Zurückhaltung der Bauherrn und Architekten erlebte die Stahlfachwerkarchitektur zur Jahrhundertwende eine Blütephase. Die Vorteile dieser Bauweise waren: preiswerte und schnelle Ausführung, hohe Flexibilität bei Anbauten, Durchbrüchen und sonstigen Veränderungen und Elastizität der Konstruktion mit optimaler Reaktion auf Erschütterungen, Bodensenkungen etc. Die Überlegenheit des Stahlfachwerks gegenüber der Massivbauweise führte dazu, dass ganze Werksbilder innerhalb der Fabrikmauern durch diese Architektur geprägt waren, während man freilich für die Außenpräsentation der Firmen nach wie vor die Monumentalarchitektur des Historismus oder seit 1900 auch die Formen der Übergangsstile bevorzugte. Stahlfachwerkbauten wurden auch Gegenstand baukünstlerischer Gestaltung, wie die Maschinenhalle der Zeche Zollern II in Dortmund von Bruno Möhring, die Haltestellen der Wuppertaler Schwebebahn oder die Pariser Metrostationen zeigen. In den 1920er Jahren machten die Industriearchitekten Martin Kremmer und Fritz Schupp das Stahlfachwerk zu einem Markenzeichen moderner Architektur im Ruhrgebiet und Mies van der Rohe verwendet diese Formensprache für die Bauten des Illinois Institute of Technologie in Chicago nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Bereich der Fabrikarchitektur sind nicht mehr viele Zeugnisse dieser Bauweise erhalten geblieben. Die überlieferten Objekte verweisen auf die Ursprünge dieser Architektur und ermöglichen die Einordnung der genannten Spitzenprodukte dieses Genre in eine allgemeine Architekturentwicklung mit breiter Basis in der Zeit um 1900.

Ebenfalls architekturgeschichtlich bedeutend ist die für die Firma Heinrich Paulus gewählte Gestaltung von Verwaltungsgebäude und anschließendem Schaugiebel. Besonders durch die Arbeiten von Peter Behrens war ein stark auf seine Grundelemente reduzierter "Rohbauklassizismus" als Übergangsstil zwischen Historismus und Klassischer Moderne weit verbreitet. Typisch sind die auf schlichte Putzstreifen vereinfachten Kapitelle der Pilaster. Mit seinen beiden Blendgiebeln weist die Schaufassade vor der Klemmenhalle auf das bereits erwähnte Grundmuster der Fabrikarchitektur im 19. und frühen 20. Jahrhundert hin: die als Zweckbauten errichteten Produktionsstätten wurden an der Nahtstelle zum öffentlichen Raum regelrecht kaschiert durch Formen der Monumentalarchitektur. Insofern muss auch die an das Werkstor anschließende Fabrikmauer zum Denkmal dazugerechnet werden.

Schließlich ist die Fabrikanlage der Fa. Paulus Teil der Aachener Industriegeschichte, und verdeutlicht den Prozess der Randwanderung eines Teils der Industrie. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die trotz abseitiger Lager verwirklichte aufwendige Architektur für die Schauseite des Werks. Hier wird einmal mehr der werbende Charakter von Industriearchitektur deutlich, ihre Rolle zur Selbstdarstellung des Unternehmens gegenüber Kunden und nicht zuletzt auch gegenüber den eigenen Beschäftigten.

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